Die Meister der Gotik
Wir kennen ihre Werke, aber kaum ihre Namen
Der altgotische Altar, auf welchem gewöhnlich der Gottesdienst gefeiert wird, ist schon so ruinös, dass der Priester beim Messopfer sich kaum mehr sicher fühlt." Das war die Begründung, mit der sich im Jahr 1799 fünf ehrenwerte Hallstätter Bürger - Pfarrer, Marktrichter, Pfleger und zwei Räte - an die "hohe ob der Enns`schen Landesregierung in Linz bittlich gewandt" haben, damit der Altar von Hallstatt abgetragen und durch einen neuen ersetzt wird. Dass wir heute das Meisterwerk der gotischen Schnitzkunst bewundern können, verdanken wir nicht einem kunstsinnigen Beamten "der hohe ob der Enns`schen Landesregierung".
Ganz im Gegenteil: der zuständige Regierungsrat hatte "für einen günstigen Erfolg eines derartigen Gesuches die beste Hoffnung". Wir verdanken die Erhaltung des Altars einzig dem Umstand, dass sich niemand fand, der die Kosten für den Abbruch bezahlen wollte. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es allein in Oberösterreich einmal 1400 gotische Altäre gab, heute sind es knapp zwei Dutzend.
Es war an der Tagesordnung, dass Kunstwerke wie der Flügelaltar von Hallstatt zu Spreißelwerk gemacht wurden. Die Rolle des Aschenbrödels müssen die gotischen Meisterwerke von Hallstatt auch heute spielen. Daran ist keineswegs nur der berühmte Stiefbruder in St. Wolfgang schuld. Hallstatt, da denkt im Zusammenhang mit Kunst jeder an die Hallstattkultur. Die vorgeschichtlichen Ausgrabungen nehmen "die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler so sehr in Anspruch, dass unser spätgotisches Schnitzwerk allzu sehr in den Hintergrund des Interesses gedrängt wurde", bedauert Ekkart Sauser, dem wir die fundierten Abhandlungen über den Hallstätter Marienaltar zu verdanken haben.
Einer der bedeutendsten Schnitzaltäre
Kein Zweifel besteht in der Kunstwelt über den Wert dieses Doppelflügelaltars. "Einer der bedeutendsten Schnitzaltäre Oberösterreichs", urteilte das Kunstdenkmäler-Handbuch "Dehio", und "Reclams Kunstführer" präzisiert das: "Es ist nach Pachers Altar in St. Wolfgang, nach dem Kefermarkter Altar und mit dem Altar von Gampern der bedeutendste Oberösterreichs."
Der Hallstätter Marienaltar ist das einzige Werk, das Astl signierte. Wenn zur Advent- und Weihnachtszeit die Innenflügel des Altars geschlossen sind, werden in den Außenflügeln vier Reliefdarstellungen sichtbar. Auf dem Relief links unten ist die Beschneidung des Herren dargestellt, und hier hat sich am Schultertuch des Hohenpriesters der Schöpfer des Altars verewigt. Zu lesen ist jedoch nur "...nhart Astl" und es war vom Entdecker dieser Inschrift ein voreiliger Schluss, daraus den Namen Leonard abzuleiten. Lienhart, Bernhart, Leonhart oder Leonard rätselten die Gelehrten. Am Haupt des rechten Hohenpriesters finden sich noch einmal drei Buchstaben: HER. Das hat nun zur völligen Verwirrung beigetragen.
Denn als "Herr Astl" wird sich der Künstler wohl kaum bezeichnet haben. Soll man das "H" als ehemaliges "B" deuten und daraus Bernhart ableiten ? Oder haben jene Recht, die meinen, dass dieser "...nhart Astl" der Meister Leonharten zu Rottenmann gewesen sein könnte? Nach der letzten gründlichen Altarrestaurierung im Jahre 1985 konnte aber des Rätsels Lösung gefunden werden: Durch Infrarottechnik konnte Leonhard Astl als Name gesichert werden.
Wahrscheinlich hatte Astl seine Werkstatt in der Gegend von Gmunden. Bekannt ist die Entstehung des Hallstätter Marienaltars: 1505 dürfte Astl den Antrag übernommen haben, 1510 glaubt man, haben die Arbeiten in vollem Ausmaß eingesetzt, 1515 gilt als das Jahr, in dem Astl mit seinen Gesellen das Richtfest feierte, vollendet wurde der Altar um das Jahr 1520. Vom Meister selbst stammen die Plastiken im Hauptschrein: Maria mit Kind, links davon die heilige Katharina, Schutzpatronin der Holzknechte, rechts die heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute. Ganz sicher hat Astl auch die Reliefs an den Innenflügeln selbst geschnitzt, denn hier hat uns der Künstler ja seinen Namen hinterlassen. Nicht zuletzt aber auch die Kreuzigungsgruppe beim Eingang der Kirche und ein Jesusknabe im Hallstätter Museum . Ein Ablassbrief, mit dem die Kosten für den Bau der Kirche hereingebracht wurden, stammt aus dem Jahr 1505.
Eine Weihe durch den Bischof von Passau ist aus dem Jahr 1320 überliefert. Zumindest seit 1181 hat die kleine christliche Gemeinde von Hallstatt eine Kirche, von der noch der mächtigste, fest mit der Felswand verwachsene Turm steht. Den Ernst der Romantik mildert heute die fröhlich-beschwingte Turmhaube aus der Barockzeit. Der staatliche Bergbau, der mit der Erhebung Hallstatt zum Markt im Jahre 1311 begann, brachte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Kirche erwies sich als zu klein. So entstand der Bau, den wir noch heute vor uns haben: eine zweischiffige und zweichörige gotische Hallenkirche mit einem schönen Netzrippengewölbe und Maßwerkfenstern. Zweischiffig wurde die Kirche nicht nur aus architektonischen, sondern auch aus gesellschaftlichen Gründen gebaut. Es waren Knappen und Bürger, die den Bau der Kirche ermöglichten. das rechte Schiff war für die Knappen, das linke für die übrige Pfarrgemeinde bestimmt.
Schätze von Hallstatt
Was hat Hallstatt in und außerhalb der katholischen Pfarrkirche noch zu bieten an gotischen Kunstschätzen? Vor allem einen zweiten, kleinen Flügelaltar, der heute beim Nordeingang der Kirche aufgestellt ist. Auch dieser Altar, der um das Jahr 1450 entstand und das Werk eines unbekannten Bergmannes oder eines Arbeitsteams von Bergleuten ist, war von der Zerstörung bedroht.
Das ist die schlichte Geschichte von der Rettung eines der kostbarsten Schätze von Hallstatt: Für einen gotischen Flügelaltar etwa um das Jahr 1750 erhielt ein Bergmann den Auftrag, den kleinen gotischen Flügelaltar in der Häuerkapelle am Salzberg zu entfernen. Das war in dieser Zeit nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war jedoch, wie dieser unbekannte Arbeiter reagierte. Auf ein Holztäfelchen, mit dem er die Altarflügel zusammennagelte, schrieb er: "Ich habe heute Befehl bekommen, den kleinen Altar wegzuräumen, zusammenzuschneiden und zu verbrennen. Ich aber hebe ihn auf. Vielleicht findet ihn jemand, der mehr Herz hat."
Er gab sich nicht als Kunstkenner aus, dieser Bergmann, er prahlte nicht mit seinen religiösen Gefühlen, die vermutlich der Anlass waren für den Entschluss, diesen Auftrag nicht auszuführen und den Altar im Häuerhaus in eine Ecke des Dachbodens zu stellen. Er sprach nur seine Hoffnung aus, dass eines Tages jemand mehr Herz haben soll. Hallstatt und die Hallstattbesucher aus aller Welt verdanken es diesem einfachen Bergmann, dass der heute in der Kirche wieder zu Ehren gekommene Altar erhalten geblieben ist. Dominierend auf diesem Altar das Hauptbild: eine ungewöhnlich faszinierende, lebendige, weit über die bloße Realistik der Szene hinausgehende Kreuzigungsdarstellung, mit einer Fülle von Menschen, unter denen auch nicht ein einziges Dutzendgesicht ist.
Leider zerstörten Diebe im Jahre 1987 den Altar und beraubten ihn seiner Flügel. Sofort nach Bekannt werden des Vorfalles wurde eine Alarmfahndung eingeleitet, die jedoch erfolglos blieb. Mittlerweile wurden die Tafelbilder durch Repliken des Bundesdenkmalamtes ersetzt, was die ursprüngliche Einzigartigkeit und Schönheit diese Altarwerkes aber nur erahnen lässt...
Weitere gotische Schätze
Die Hallstätter Kirche beherbergt schließlich noch, wie erwähnt, eine lebensgroße Kreuzigungsgruppe aus der Hand von Meister Astl, die im Haupteingang aufgestellt ist und um 1515/20 entstanden sein dürfte: Christus, Maria, Johannes. Der Kunsthistoriker Ekkart Sauser: "Johannes und Maria sind ganz im Sinne der Astlschen Werkstätte geschaffen, St. Johannes, dessen edel geformtes Antlitz ihn zu den besten Werken von Meister Astl gehören lässt, erinnert in seiner Kopfform und den markanten Gesichtszügen an die Astlschen Männertypen jugendlichen Alters, wie sie zahlreich bei den Hallstätter Aufsatzfiguren und Reliefs zu finden sind. Maria findet Parallelen bei den hl. Frauen auf dem Hallstätter Beschneidungs- und Darstellungsrelief. Der Gekreuzigte zeigt in seinen Gesichtszügen asketische Strenge, hat betonte Kinnladen und eingefallene Wangen."
Kunst der Donauschule
Der Donauschule zugezählt werden die Fresken über dem Haupteingang zur Kirche: farbige Passionsszenen; Kreuzestragung und Kreuzesnagelung (um 1500). In dieser Zeit entstand auch das Christophorus-Fresko an der Ostseite der Kirche. Aus dem Jahr 1519 stammt das Portal aus rotem Salzburger Marmor mit schön gestalteter Türleiste. Bei der Aufzählung der gotischen Werke von Hallstatt darf die Michaelskapelle nicht vergessen werden (um 1300), mit romanischem Unterbau und darüber einem gotischen Kapellenraum. Hier befindet sich das weithin bekannte Beinhaus.
Maria, nicht nur künstlerisch betrachtet
Darf ich Sie aber bitte am Schluss dieses Kapitels noch einmal einladen zu einem kurzen Besuch der Kirche, um zurückzukehren zum Schönsten, was die Gotik in Hallstatt zu bieten hat. Es ist dies, ganz im Sinne der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt und des Marienaltars, die Mutter Gottes auf dem Hauptaltar. Der Kunsthistoriker Ekkard Sauser analysiert sie so: "Einfach, schlicht, sehr natürlich, wie aus dem Leben gegriffen, nichts Asketisches, Hoheitsvolles, ja nicht einmal überaus edle Formen in den Gesichtszügen und Gewandfalten."
Einfach, schlicht, natürlich? Das ist viel ungewöhnlicher, als es sich auf den ersten Blick ausnimmt. Für den Künstler von Hallstatt ist Maria nicht das Ideal höchster himmlischer und irdischer Schönheit mit verinnerlichtem, versunkenem Ausdruck, wie wir sie in anderen Werken vor uns haben. Maria ist hier eine einfache, schlichte, natürliche Frau. Vielleicht ist das nicht nur für eine künstlerische Betrachtung von Bedeutung. Ich könnte mir vorstellen, dass bei einer solchen Maria viel eher das Gefühl aufkommt, hier eine Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen vor sich zu haben. Diese Maria ist eine Frau und Mutter, nicht anders als die Frauen und Mütter, die im Laufe von viereinhalb Jahrhunderten vor dieser Maria gekniet sind.
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